digitaler Tierarzt

Der digitale Tierarzt
Der digitale Tierarzt 580 720Sven Jan Arndt

Seit neuestem wird eine „neue Sau durch das Dorf getrieben“ – der digitale Tierarzt. Sie nennen sich Dr.Sam, Pfotendoctor.de etc.

Was soll man davon halten?

Zunächst einmal hier einige Ausschnitte der Versprechungen dieser Plattformen:

online Tierarzt / digitaler Tierarzt
Dr.Sam verspricht hier einiges. Die ersten vier Punkte leuchten uns auch unmittelbar ein und sind sicherlich korrekt.

Aber was ist mit Punkt 5? Sofortige Gewissheit!

Gewissheit worüber?

  • dass mein Tier krank ist oder nicht?
  • dass ich vielleicht doch mal zu einem niedergelassenen Tierarzt mit meinem Tier fahren sollte?
  • dass ich jetzt eine Gebühr bezahle für eine vage Auskunft?

Pfotendoctor.de – Dein digitaler Tierarzt geht noch weiter:

  • „Unsere Tierärzte können sofort einschätzen, wie deinem Haustier optimal geholfen werden kann.“
  • „Die Gebühren richten sich nach der offiziellen Gebührenordnung für Tierärzte. Die Höhe entspricht damit jedem gewöhnlichen Besuch in einer Tierarztpraxis.“

Um diese Aussagen ein wenig einschätzen zu können, hier mal unsere Erfahrung aus dem täglichen Betrieb von vier Kleintierpraxen mit weit über 40 Tsd. Fällen im Jahr:

  • ein krankes Tier kann nur sehr bedingt, bis garnicht via Telefon oder Videochat qualifiziert untersucht werden – primär bedarf es der physischen Inaugenscheinnahme eines Tieres, des Abtastens, des Fiebermessens, des Kontrollierens der Vitalfunktionen, ggf. des Riechens etc.
  • dann folgen auch schon oft weitere diagnostische Maßnahmen wie Röntgen, Ultraschall, CT, MRT und Blutbild
  • erst diese Maßnahmen erlauben i.d.R. eine kompetente Diagnose und damit verbunden eine entsprechende Therapie

Vor diesem Hintergrund stellen sich uns folgende Fragen zum digitalen Tierarzt:

  • wie kann er Fieber messen oder die Vitalfunktionen untersuchen (Abhören bspw. einer Katze bei Lungenembolie etc.)?
  • wie kann er feststellen, ob ein Bein nur verstaucht ist oder gar gebrochen?
  • selbst wenn er sich waghalsiger Weise zu einer Ferndiagnose hinreißen lassen sollte, was ihm eigentlich sein Berufsethos verbietet, wie geht es dann weiter?
  • Wie kann er ein Schmerzmittel oder ein Medikament verabreichen?
  • Wie stellt er Rezepte aus?
  • Wie verbindet er eine Wunde?
  • Wie näht er einen Biss?

Man könnte diese Beispiele beliebig weiter spinnen. Der tatsächliche Nutzen eines solchen digitalen Tierarztes erscheint also sehr begrenzt:

Der digitale Tierarzt kann, wenn er seine Ausbildung und seinen Berufsethos Ernst nimmt, im Zweifel auch nur immer anraten einen niedergelassenen Tierarzt aufzusuchen oder eine entsprechende Tierklinik zu finden.

Dann stellt sich in der Tat die Frage – wo liegt der Vorteil des digitalen Tierarztes?

  • in der Tat haben wir gerade im Notdienst viele Anrufe, die eigentlich garnicht mit Ihrem Tier kommen wollen, sondern eine fernmündliche „Absolution“ wünschen, dass alles nur halb so schlimm sei und man erst am nächsten Tag zum Tierarzt gehen müsse – diesen Tierbesitzern kann in der Tat ein solcher digitaler Tierarzt helfen – ein Placebo, was dem Patientenbesitzer nutzt, dem Tier aber im Zweifel Leid nicht erspart
  • wenn der digitale Tierarzt seinen Beruf Ernst nimmt, so muss er fairerweise vermutlich, wie bei unseren Telefonaten, mindestens jeden zweiten Patientenbesitzer zum niedergelassenen Tierarzt schicken, weil nur so das Leid eines Tieres gelindert werden kann
  • Letzteres kostet aber bei Ihrem Tierarzt des Vertrauens und falls dieser mal nicht erreichbar sein sollte, bei der örtlichen Tierklinik oder dem örtlichen tierärztlichen Notdienst als telefonische Auskunft nichts! Das ist tägliches Brot und Service eines jeden guten Tierarztes.
  • Auch gibt es bundesweit Tierkliniken und Notdienstsprechstunden, die 24h erreichbar sind. Also fällt auch dieser angebliche Vorteil eines digitalen Tierarztes weg.

Viel spannender ist auch noch der Punkt – keine der beiden genannten Plattformen wird von Tierärzten betrieben – hier das Impressum von Dr.Sam:

Die beiden Geschäftsführer sind Ökonomen und keine Tierärzte. Auch ist der im Handelsregister hinterlegte Gesellschaftszweck eher schwammig angelegt und bedarf eigentlich mal der Überprüfung der entsprechenden Landestierärztekammer:

Noch spannender wird die Sache beim Anbieter „Dein digitaler Tierarzt“ – Pfotendoctor.de:

digitaler Tierarzt - pfotendoctor.de

„Die Entwicklung, Erstellung, Vermarktung und Vertrieb von Telematik-Software.“ Also wo hier der Bezug zur Tiermedizin ist, bleibt uns verborgen.

Vor diesem Hintergrund ist es noch interessanter, wieso eine solche Plattform nach GOT (Gebührenordnung für Tierärzte) abrechnet (nach eigener Aussage siehe oben)? Hier scheinen unsere Tierärztekammern ein wenig zu schlafen, die Kammern, die mancherorts doch so gern noch die Größe des Praxisschildes bestimmen würden. Eigentlich darf nur jemand nach GOT abrechnen, der approbierter Tierarzt ist, oder haben wir da was falsch verstanden?

Auch finden wir keinen der bei Pfotendoctor.de genannten Tierärzte als freie oder angestellte Tierärzte im Internet!? Auch gibt es den Begriff: „Tierarzt, Fachbereich Augenheilkunde“ so offiziell nicht. Soll dies evtl. eine nicht vorhandene Zusatzbezeichnung oder Fachtierarztausbildung darstellen?

Unser Fazit zum digitalen Tierarzt:

  • Der Nutzen von digitalen Tierärzten erscheint uns sehr beschränkt – das was sie leisten können, bekommen sie kostenlos auch am Notdiensttelefon oder in jeder Tierklinik als Auskunft kostenlos.
  • Die offiziellen Betreiber dieser hier vorgestellten Plattformen kommen nicht aus der Tiermedizin und geben dies auch nicht in ihrem Gesellschaftszweck vor
  • Bleibt also die Frage – ist der Begriff „digitaler Tierarzt“ / „online Tierarzt“ eine ungeschützte Berufsbezeichnung?
  • Darf jeder mit einer solchen Plattform nach der GOT abrechnen?
  • Wann überprüfen mal die Bundestierärztekammer oder Landestierärztekammern dieses offenbar ungeregelte Treiben?

Nachtrag:

Mittlerweile machen sich auch die ersten ausländischen Anbieter (außerhalb Europas – aus der Schweiz) auf den Weg den deutschen Markt zu beackern – folgende Werbung von pet-care.ch haben wir heute gesehen:

Hier stellt sich besonders die Frage, ob und wieweit ein außereuropäisches Unternehmen in der EU Dienstleistungen im Bereich der Veterinärmedizin / online Tierarzt anbieten darf, unterliegen diese doch komplett anderen Zulassungskriterien als die deutschen Kollegen. Hinter diesem konkreten Fall steht ein Schweizer Großkonzern – die Migros Gruppe, die für alles bekannt ist, aber wenig bis garnicht für Tiermedizin.